In unserer Gesellschaft hat das Wort „leer“ eine negative Bewertung. Alles soll „voll“ sein: Der Tank, das Konto, die Lebenszeit, die Energie, der Ertrag, die Auftragsbücher, der Esstisch …
Viele unserer Aufgaben fielen im Vorfeld schon weg: Mit dem Verschenken unserer Bienenstöcke, dem Verleihen unserer Baumstücke, der Übergabe des Gewächshauses und der Keltermeister-Aufgabe „entleerte“ sich unsere Zeit von lieben Pflichtaufgaben – wir waren aber überwiegend froh darum, weil wir jeden Moment zum sauberen Abschluss unserer letzten Verpflichtungen, dem Ausräumen und dem Anfordern von Dokumenten etc. nötig hatten!
Beim Ausräumen unseres 200 qm großen Hauses und dem Reduzieren auf 12 qm und 8 Koffer ist mir das Wort „leer“ wirklich oft begegnet. Angefangen hat es, als ein Kind nach dem anderen ausgezogen ist. Plötzlich war das erste Zimmer komplett „leer“. Dann wurden Lieblingsdinge ausgeliehen und erste Schränke „leerten“ sich. Dem folgte der Keller mit allen Bastelsachen … – „leer“. Alle entbehrlichen Dinge wurden in Kisten verstaut – die empfindlichen in Plastikkisten mit Deckel, die anderen in Kartons, ordentlich beschriftet und danach mit Stretchfolie gesichert. Die Lebensmittel aus der Gefriertruhe wurden nach und nach gekocht oder in den Gefrierschrank umgelagert.
Es war nicht einfach, bei allem den richtigen Zeitpunkt zu erwischen: Zuerst war es notwendig, die hinteren Lagerregale komplett zu füllen. Annegrets Unterrichtsvorbereitungen wurden aussortiert und überwiegend digitalisiert. Dann wurde kontinuierlich das nicht mehr benötigte Material verstaut (bis zum vorletzten Schultag waren aber einige Dinge noch notwendig und tatsächlich musste ein bereits verstauter Karton nochmals geöffnet werden). Danach sollten die ersten großen Möbel eingelagert werden. Das waren unsere Büromöbel und wir arbeiteten in der Folgezeit auf einem improvisierten Brett und dem Wäscheständer. Danach folgten Teile der Einliegerwohnung, aber das Gästezimmer musste noch funktional bleiben, bis der Besuch der letzten Übernachtungsgäste erfolgt war. Deshalb wurde zuerst unser Schlafzimmer „geleert“ und wir lebten aus Wäschekörben und schliefen auf den alten Matratzen auf dem Boden. Nun war das Wohnzimmer an der Reihe und wir waren erstaunt, wie sehr uns unser Sofa fehlte! Nach dem Abschiedsfest im Garten konnte endlich unsere Küche „leer“ geräumt werden – das waren wirklich viele Kartons und danach aßen wir von altem aussortiertem Geschirr, später von Papptellern. Alle Bilder wurden verliehen oder eingelagert – „leere“ Wände. Dann zog das letzte Kind aus und wiederum gab es ein „leeres“ Zimmer! Der „Leere“-Hall im Haus wurde immer hohler. Schließlich verschwanden die Lampen und es blieben „leere“ Zimmerdecken übrig. Zuletzt wurden die letzten eingefrorenen Früchte und Vorräte verschenkt – geschafft, „leere“ Küche, „leerer“ Gefrierschrank! Beim „Leeren“ kam uns wirklich der Zeitpunkt zugute: Drei unserer Kinder haben einen neuen Haushalt eingerichtet!
Wie ging es uns mit dieser zunehmenden „Leere“?
Was unsere Arbeits-Aufgaben anging, waren wir sehr froh, weil sich die „entleerte“ Zeit so schnell wieder gefüllt hat, dass wir das gar nicht vermissen konnten! Die räumliche „Leere“ im Haus entlastete uns, da der Auszugstermin fest terminiert war. Außerdem hat es eine gewisse Befriedigung verschafft, alles einmal gründlich gesichtet und aussortiert zu haben! Wenn wir zurückkommen, sind wir um viel Ballast erleichtert! An den großen Ausräumwochenenden wurden wir immer von lieben Familienmitgliedern unterstützt, was die Trennung von Materiellem bei weitem übertroffen hat – danke! Richtig hart war emotional der Auszug unserer Kinder. Die Umzugsarbeit hat zwar wenig Zeit zum Überlegen gelassen, aber als alle Bilder, Erinnerungen, Bastelarbeiten weg und die Zimmer „leer“ waren, wurde uns schon klar, dass damit auch ein Lebensabschnitt zu Ende gegangen ist – unsere fünf Kinder sind jetzt alle selbständig!
Während des Schreibens rollen ein paar Tränen, denn unsere Familienphase in Zaisersweiher hat uns viele schönen Erlebnisse geschenkt! Was kann da helfen? Die Dankbarkeit an Gott, dass alle gesund und lebenstüchtig sein dürfen und die Erkenntnis, dass diese „Leere“ auch „Freiheit“ bedeutet, etwas ganz Neues wagen zu dürfen. Nur „leere“ Hände können neu gefüllt werden! Nur „leere“ Zeit kann neu gestaltet werden! Nur „leere“ Räume können neu gelebt werden!
Deshalb möchte ich hiermit einen Lanze für das Wort „leer“ brechen und zum Überlegen anregen, ob es nicht in vielen Fällen „frei“ bedeuten könnte – und ganz ehrlich, wer hätte nicht gerne ein bisschen mehr „freie“ Zeit, „freie“ Ressourcen und „freie“ Entfaltungs-Räume?!