Die Präsidentschaftswahl in Bolivien konnte, wie geplant, am 17.08.2025 stattfinden.

Im direkten Vorfeld blieb alles sehr ruhig und geregelt im Land. Für den Wahltag wurden jegliche Versammlungen untersagt. Außerdem bestand ein Fahrverbot, um Blockaden und Anschläge vorzubeugen. Nur Autos mit Sondergenehmigung durften die Straßen benutzen. Vor der Wahl rief Evo Morales, der nicht als Kandidat zugelassen worden war (in Bolivien ist keine dritte Wahlperiode zulässig und bei ihm wäre es die vierte gewesen, außerdem ist er zurzeit wegen Missbrauchs Minderjähriger angeklagt) dazu auf, den Wahlzettel durchzustreichen, seinen Namen darauf zuschreiben, den eigenen Wahlzettel zu fotografieren und in den Medien zu veröffentlichen. Damit wollte er eine Protestwahl organisieren mit dem Ergebnis, wieder an die Macht zu kommen. Daraufhin wurde von der Regierung in letzter Minute noch der Handygebrauch in den Wahlkabinen untersagt (nicht immer erfolgreich).

Am Sonntag wurden die Wahllokale planmäßig geöffnet und die Bolivianer strömten hin, um ihre Stimmen abzugeben. Briefwahl gibt es hier nicht, sodass jeder sich persönlich zum Wahllokal begeben muss, weshalb es viele Schulen und öffentliche Orte in Fußnähe geben muss. In Ausnahmefällen (Bettlägerigkeit …) fährt ein Wahlteam zur betroffenen Person nach Hause und holt dort direkt die Stimme ab. Wählen ist Pflicht: Nach der Wahl bekommt jeder ein Kärtchen, das mit dem Fingerabdruck bestätigt, dass man gewählt hat. Diesen „Ausweis“ benötigt man, um in den nächsten drei Monaten Geld- und Bankgeschäfte tätigen oder reisen zu können. Er ist also elementar wichtig für das tägliche Leben! Wenn man also mit den Politikern nicht zufrieden ist, dann füllt man den Wahlzettel falsch oder gar nicht aus, weil man diesen Nachweis braucht.

Die Wahlhelfer/innen, die Juroren, wurden vom Staat per zufälligem Losverfahren bestimmt. Konnte eine Person ihre Pflicht nicht wahrnehmen (Arzt hat Notdienst im Krankenhaus, hochschwanger …), musste sie im Vorfeld schriftlich eine Begründung einreichen. Um 6.00 Uhr fanden sie sich an ihrem zugewiesenen Wahllokal ein und bereiteten alles vor: Leere Stimmzettel gemeinsam auspacken, Wahlurnen aus Pappe falten und kleben, Tische und Wahlkabinen aufbauen …. Die Wahl hat von 7.30-16.00 Uhr stattgefunden. Danach zog sich jedes Wahlteam (mindestens 3, normalerweise 6 Personen) in einen Raum zurück. Pflicht war die Anwesenheit eines Notars, zugelassen waren außerdem je ein Abgeordneter aller 8 antretenden Parteien. Eine Person öffnete einen Wahlzettel, zeigte ihn den Anwesenden, die Entscheidung wurde laut vorgelesen und dann auf einem großen Plakat bei der entsprechenden Partei mit fortlaufender Zahl notiert, dann wurde der ausgezählte Stimmzettel in einer anderen zugeklebten Box verstaut. Anschließend wurden die Ergebnisse gemeinsam gezählt und in einem Protokoll vermerkt. Das alles sollte Manipulation und Fälschung verhindern. Der Notar überprüfte daraufhin alles noch einmal und hielt das Ergebnis in einem zweiten Protokoll fest. Dann wurden die offiziellen Ergebnisse in einer Akte festgehalten und weitergegeben. Die Protokolle, die Wahlzettel und alle Unterlagen packte man in Boxen, die wieder zugeklebt und an eine zentrale Stelle transportiert wurde – falls das Wahlergebnis angezweifelt und überprüft werden müsste. Bis zur vollständigen Auszählung (etwa um 18.30 Uhr) durften die Wahlhelfer das Wahllokal nicht verlassen, weshalb Familie oder Freunde vorbeikamen, um Verpflegung zu bringen.

Die Stimmung am Wahltag war größtenteils offen und frei. In unserem Dorf waren drei Militärpersonen zum Schutz eingeteilt worden. Sie hatten ihr Auto vor dem Eingang der Schule positioniert, um einen Anschlag vorzubeugen. Sie saßen auf dem Hauptplatz und aßen zu Mittag. Die Einwohner kamen plaudernd im Familienverbund, manche hatten Essensstände aufgebaut und alle schwatzten, wie bei einem kleinen Fest. Es gab eine für Bolivien hohe Wahlbeteiligung mit gültigen Stimmen! Den meisten ist klar, dass die Situation so nicht bleiben kann, sondern sich etwas ändern muss! Wahlbeobachter aus dem Ausland, z.B. der europäischen Union, waren zugelassen. Über die Medien wurden durchgehend aktuelle Informationen zur Wahl an die Bevölkerung weitergereicht. In seltenen Fällen kam es in Wahllokalen (z.B. in Cochabamba) zu handgreiflichen Auseinandersetzungen, die dann aber sofort von der Polizei unterbunden wurden.

Das Ergebnis war für alle eine Überraschung: Ein Kandidat, der in den Vorumfragen lediglich 5 % erreicht hatte, gewann deutlich! Er hat für die Christdemokratische Partei kandidiert und rund 32% der Stimmen bekommen. Die konservative Alianza Libre erreichte knapp 27%. Das zuvor favorisierte Wahlbündnis landete mit etwa 20% nur auf dem 3. Platz. Alle drei Parteien hatten Demokratie, Bekämpfung der Korruption, Stärkung der Wirtschaft und Bildung, Einheit und Förderung von Privateigentum auf ihrer Wahl-Agenda. Alle acht Kandidaten auf dem Wahlschein haben das Wahlergebnis anerkannt. Etwa 20 % aller Stimmen waren blanco (leer) oder nullo (falsch ausgefüllt). Jetzt findet im Oktober eine Stichwahl der zwei ersten Kandidaten statt und wenn alle drei sich gegenseitig danach unterstützen, ist der neue Präsident im Kabinett entscheidungsfähig und kann Reformen in die Tat umsetzen! Das ist mehr, als viele zu träumen gewagt haben und sorgt für Hoffnung im Land. Der Erstgewählte hat in seiner Rede gesagt, dass Gott den Weg für Bolivien weiß und das Volk die Aufgabe hat, ihm zu folgen.

Bis jetzt hat Evo Morales seinen Androhungen auf Proteste nicht wahrgemacht und alles ist weiterhin friedlich. Es könnte also der dringend nötige Politikwechsel erfolgen: In Bolivien liegt die Inflationsrate aktuell bei 25 %, die Wirtschaft ist am Boden, die Korruption und die Armut dagegen sehr hoch.

Allerdings trauen manche – an Betrug und Korruption gewöhnte – Bolivianer dem Frieden nicht. Es gibt Gerüchte, dass Anhänger der MAS die bestehende Christdemokratische Partei von innen heraus übernommen haben. Andere haben Bedenken, ob die Politiker ihre Wahlversprechen einlösen werden oder mit Antritt der Macht ebenfalls der Korruption verfallen werden. Ob das realistisch oder nur der Schutz vor zu hohen Erwartungen und der damit verbundenen Enttäuschung ist, wird die Zukunft zeigen.

Von Pykant